Homo non sapiens und die Artenvielfalt

05.12.25
Homo non sapiens und die Artenvielfalt

Bio-Baumwollfeld in Uganda. Das umgebende Grün steht für den ökologischen Anbau ohne Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger.

Wir Menschen sind die am weitesten entwickelte Art auf dem Planeten Erde. Folglich nennen wir uns „Homo Sapiens“. Ob wir wirklich weise und einsichtsfähig sind, darf angesichts unseres Umgangs mit den anderen Arten, also den Tieren und Pflanzen, angezweifelt werden. Doch es gibt auch gute Beispiele.

Ein Plädoyer von Roland Stelzer, Geschäftsführer Elmer & Zweifel GmbH („Cotonea“)

Wider besseres Wissen zerstören wir eine Tier- und Pflanzenart nach der anderen. Weltweit gilt jede dritte Art als bedroht, täglich sterben über 100 Arten aus und meistens tragen Menschen die Verantwortung. Auch wenn es schon immer Artensterben gegeben hat, übersteigt die durch menschliches Handeln verursachte Aussterberate die natürliche um den Faktor 100 bis 1000, wie die Bundeszentrale für politische Bildung konstatiert.

Auf der anderen Seite müssen sich immer mehr Menschen den Platz auf der Erde teilen, sich davon ernähren und mit Gütern versorgen. Deshalb braucht es kluge Lösungen, wie wir mit den begrenzten Flächen und Ressourcen umgehen. Vor allem in der industriellen Landwirtschaft, denn diese ist ein wesentlicher Verursacher des Artenschwundes.  

Schauen wir somit auf den Sektor Landwirtschaft und die damit zusammenhängenden Industrien. Die Saatgut-, Düngemittel- und Chemieindustrie wirbt seit über 70 Jahren mit Ertragssteigerungen durch den Einsatz ihrer Produkte, insbesondere Pestizide und Kunstdünger. Dabei suggeriert sie fortschrittliches Handeln zum Nutzen der Weltbevölkerung und ihrer Ernährung. Doch die Agroindustrie hat weniger das Wohl der Menschheit im Sinn, sondern strebt in erster Linie nach maximalem Gewinn, alleine schon wegen ihrer Verflechtungen mit dem Kapitalmarkt. Dabei bleiben allzu oft Tiere und Pflanzen auf der Strecke.  In der EU sind laut Umweltbundesamt rund 1.000 Pestizide zugelassen. Wo diese eingesetzt werden, verschwinden nicht nur die unerwünschten Insekten und Beikräuter, sondern auch viele tierische und pflanzliche Nützlinge – und bringen so das sorgsam eingespielte Gleichgewicht der Arten durcheinander. Das Insektensterben ist in erster Linie eine Folge der Intensiv-Landwirtschaft. Doch Insekten mit ihrer Bestäubungsleistung haben eine enorme biologische und wirtschaftliche Bedeutung. So benötigen 91 von 107 der weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanzen eine Bestäubung. Natürlich können auch Drohnen, wie sie zum Beispiel in China eingesetzt werden, Pflanzen bestäuben, für die Nahrungsmittelkette von Vögeln oder Kleintieren sind sie jedoch nutzlos.

In mehr als 80 Prozent der Bäche in Deutschland sind die Grenzwerte für Pestizidrückstände überschritten. Auf den Äckern werden so viel Stickstoffdünger und Gülle ausgebracht, dass dieser in Form von Nitrat über das Grundwasser in Wäldern und Gewässer fortgetragen wird. Auch deshalb sind in Deutschland rund die Hälfte aller Ökosysteme in einem schlechten Zustand. Und damit die Vielfalt der Arten. "Der Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft ist so dramatisch, dass in Zukunft ernsthafte Folgen für die Funktionsfähigkeit der Agrarökosysteme und für das Wohlergehen des Menschen zu erwarten sind", schreibt die Leopoldina, die angesehene Deutsche Akademie der Naturforscher.  

Schlüsselfaktor Boden

Die hier genannten Fakten sind wissenschaftlich belegt. Wir von Cotonea können sie mit unseren Erfahrungen aus über 20 Jahren Bio-Baumwoll-Anbau bestätigen. Deshalb komme ich zur Schlussfolgerung, dass nur eine den Menschen, die Tiere und die Pflanzen gleichermaßen berücksichtigende Anbauweise unsere Erde mit all ihren Ressourcen bewahren und in eine gute Zukunft führen kann. Der Schlüssel hierfür liegt im Boden. Das hat man auch im Bio-Anbau erkannt und legt dort besonders Wert auf eine vielfältige Bodenstruktur. Sie führt zu humusreichen, fruchtbaren Böden, die mehr Wasser und mehr CO2 speichern können als jene von der Intensiv-Landwirtschaft ausgelaugten Böden. Milliarden von Mikroorganismen in einer Handvoll Bio-Boden sind der Ausgangspunkt für das komplexe Artennetzwerk unzähliger Tiere und Pflanzen. Regenwürmer spielen dabei eine wichtige Rolle, denn sie sind eine Ursache und gleichzeitig Indikator für einen nährstoffreichen, gesunden Boden. So finden sich in Bio-Äckern bis zu zehn Mal so viele Regenwürmer wie in konventionell bewirtschafteten Böden, wie das Forschungsinstitut für biologischen Landbau gemessen hat.

Bei aller Kritik an der industriellen Agrarwirtschaft möchte ich dennoch eine Lanze für die Bauern brechen. Landwirte haben keinen einfachen Job. Sie sind vielfach zerrissen zwischen Ertragsdruck, bürokratischen Reglements und Abhängigkeiten von ihren Abnehmern. Persönliche Interessen, zum Beispiel für Umweltschutz, lassen sich angesichts des Mantras der Agroindustrie „Wachse oder weiche“ nur schwer umsetzen. Viele kleine Höfe gehen ein, die Konzentration auf wenige, sehr große Betriebe nimmt zu. Und trotzdem könnten viele Bauern ein Signal für Artenvielfalt in der Kulturlandschaft setzen: zum Beispiel mit neuen Hecken und Feldgehölzen, Blühstreifen und vor allem der Bereitschaft, sich trotz der bestehenden hohen Anforderungen mit veränderten Anbaumethoden zu beschäftigen, zum Beispiel mit der regenerativen Landwirtschaft. Sie verfolgt das Ziel des Bodenschutzes und der Humusbildung u. a. durch minimale Bodenbearbeitung, den Anbau von Zwischenfrüchten und einen verringerten Pestizideinsatz. Die regenerative Landwirtschaft ist somit eine sinnvolle Zwischenlösung auf dem Weg zu einer vollständig ökologischen Landwirtschaft.

Dass die Menschheit die Landwirtschaft zum Fortbestehen benötigt, ist eine Binsenweisheit. Genauso offensichtlich ist es jedoch, dass Landwirtschaft auf Dauer nicht auf dem Prinzip Ertragsmaximierung durch Bodenausbeutung, sondern nur durch ein ausgewogenes Geben und Nehmen der vorhandenen natürlichen Ressourcen, wie es der biologische Anbau praktiziert, funktionieren kann.


Mit dieser Haltung haben wir unsere Marke Cotonea aufgebaut. Seit über 20 Jahren begleiten wir mit Cotonea unsere Bäuerinnen und Bauern in Kirgistan und Uganda beim Anbau von Bio-Baumwolle für unsere Textilien. Statt Fast Fashion produzieren wir langlebige, ökologisch und qualitativ einwandfreie Stoffe. Als Familienunternehmen bedeutet Nachhaltigkeit für uns das Sicherstellen einer soliden wirtschaftlichen Grundlage verbunden mit sozialer Verantwortung für unsere Mitarbeitenden und Partner sowie dem Erhalt der biologischen Vielfalt an den Orten unseres Handelns. Dank dieser Haltung existiert unser Unternehmen immerhin seit 170 Jahren. Wir wissen nicht mehr als andere. Doch das was wir wissen, nehmen wir ernst – und handeln danach.